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Köln am Main

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„Liebe Freunde des Museums für Moderne Kunst, Deutschland müsste im Umbruch sein. Der schon von Altbundespräsident Herzog angemahnte Ruck, der durch das Land gehen sollte, ist im Berliner Adlon stecken geblieben. Die neue Regierung ist die alte. Die notwendigen Lerneffekte sind offensichtlich ausgeblieben, die in den Haushalten entstandenen Löcher werden durch Steuer- und Abgabenerhöhung und höhere Verschuldung gestopft. Die Kontinuität bleibt gewahrt.“ [1]

Aha. Das MMK hat also die realpolitische Kehrt-Wende hinter sich. Die Institution, die ursprünglich nach vorne schauen sollte, sich auf die Fahnen schrieb, alte Götzen von ihren Sockeln zu holen und uns einen zeit-genössischen Spiegel vorzuhalten? Zurück, marschmarsch! [2]

Mit der Berufung eines Ortsfremden – den Vorgänger kann man ja wohl nach vielen Jahren kuratorischer Schaffens- und Verbandelungswut als „einen von hier“ bezeichnen [3] – hat die Geldallianz nach der freundlichen Übernahme des dreieckigen Dickschiffes ein Zeichen gesetzt, inwieweit sich eine ertragreiche Instrumentalisierung des vormals unabhängigen Kulturbetriebes durchsetzen lässt.

Blicken wir ein Stück in die Vergangenheit und betrachten uns die Farben des Geldes.

Szenenwechsel XVIII, ermöglicht durch die Helaba. Farbe der Einladung: Orange mit Blau. Szenenwechsel XIX, ermöglicht durch die Dresdner Bank. Farbe der Einladung: ein sympathisches Grün. Szenenwechsel XX, ermöglicht durch die DZ Bank. Farbe der Einladung: Rot. [4]

Ein Szenenwechsel kostet Geld, viel Geld. Das zahlt man nicht einfach aus der Portokasse, auch als eines der führenden Geldinstitute nicht. Da muss schon was zurückfließen. Ansehen. Image. Der Hauch von kulturellem Engagement. Ein Einsatz, der sich auch personell manifestieren soll. Drum stellt den Vorstand des Kuratoriums in der Regel ein Geldinstitut, hin und wieder auch den Vorsitz des „Vereins der Freunde“. Und da ein Museum heutzutage über keine öffentlichen Mittel verfügt, ist die Unabhängigkeit in ihrer Verwendung ausgeschlossen. Der neokonservative Janus betritt die Zweite Moderne.

Die Bilder werden kleiner, die Räume in sich ab-geschlossen. Eine erste Innovation sei „Das Kinderzimmer“, das der Neue „so erfolgreich ... konzipiert hat“. [5] Natürlich; früh füge sich, was später dem Wahren, Schönen, Guten zu Ruhm und Eigentum gedeih. Die Kunst als ätherisches Substitut für die Schnapszugabe aus der Frühzeit der industriellen Revolution –

Das Prinzip der Interpassivität betritt die Bühne. Ich-sehe Video, Video-Kunst allenthalben. Das sich selbst betrachtende Kunstwerk substituiert mit seiner totalitären Heimkinotücke seinen eigenen Betrachter – und entzieht die (Aus-)Stellung schleichend dem ehedem öffentlichen Raum. [6]

Aber auch persönliche Dramen spielen sich vor und hinter den Kulissen ab, hat sich der Beobachter erstmal durch die Enge des Beziehungsgeflechts geschmuggelt. Herr Fischer von der Deutschen Bank, ein Freigeist und mit der Schweizerischen Machtübername prompt geschasst, verlor auch sein Mandat beim „Verein der Freunde“. Sein Nachfolger, Jürgen Häreus, vollbrachte die brüskierende Wende zur konservativen Realpolitik in seinem Neujahrsanschreiben an die Mitglieder des Vereins. Anmaßend und doch von auszeichnender Offenheit:: so transparent hat noch kein prominenter Bürger die francofor(t)ensische Verquickung von Geld, Politik, Kultur in einen Satz geschlossen. Vorsitzender des Kuratoriums wurde der Sprecher eines Instituts, das eine eher schlichte Auffassung moderner Malerei in seinem Turm verbirgt. Aber, man kolportiert, die Macherin sei verbandelt mit einem gewichtigen Partner, und bei einer überschaubaren Anzahl institutionellen Großkunden aus der Region würde sich die Gala eine schicke kleine Klatschgeschichte zusammenreimen können, wenn es nicht so uninteressant fürs breite Publikum wäre.

Die Verstrickungen der Großen reproduzieren sich im Gewurschtel der Kleinen. So wurde ein putziges Ausstellungsräumchen in Sachsenhausen über Jahre von einer Mitarbeiterin des MMK betrieben und vornehmlich mit eigenen, stofflichen Werken befüllt. Ja; watt denn nu. Ausstellungsmacherin oder doch lieber Künstlerin? Es wäscht die öffentliche Hand die andere – Le petit objet „art“; die différance der Kunst-Maschine oszilliert in Weißbrot, Rotwein, schönen Worten. Und als die Lust verflogen ist, wandert das Räumchen in die Hände einer anderen [7], die dort nicht „nur“ lokale Künstler auszustellen wagt. – Es bleibt die strukturelle Frage nach den Signifikanten und ihren sekundären Tropen. Ein Licht-Blick, nicht mehr als ein kurzes Aufblitzen, mag die Initiative eines Interimbetreibers sein, der in dem Räumchen für gerade ein paar Abende die legendäre Goldfinger-Bar symbolgetreu nachgebaut hat; die Simulation eines Raum, der so off-off-off war, dass er schon wieder von Kittelmännern und anderen Nikoläusen für Art-gerechte Entspannung, Erbauung und distinktive Selbstaufwertung durch Abnutzung genutzt, benutzt, verwertet und entwertet werden konnte.

Jedoch: zum großen Geld gesellten sich die kleineren Skandale und Skandälchen; wie jener Kollege, nur als Beispiel, der die Stadt floh und beiläufig im angeschlossenen Restaurant eine versalzene Rechnung hinterließ: die peinvolle Schattenseite des kulturellen Klüngelwerks. Hinter vorgehaltener Hand spricht man von einer exorbitanten Honorarforderung für den Entwurf einer kleinen Postkarte durch eine Lebens- und Güterabschnittsgefährtin im Amte. Honi soit qui mal y pense –

Auch ist bekannt, dass die Könige der Szene verschiedene Investoren beraten durften hinsichtlich des Ankaufs junger Kunst. Natürlich wurde dabei niemand aus dem eigenen Umfeld protegiert. Auch wurden keine nennenswerten Honorare dafür bezogen. Und selbstverständlich wurde auch nicht am regulären Galeriebetrieb vorbeigekauft. Und von bürgerlichen Fassaden vor sexualen Abgründen; darüber sollte man schweigen

Es wird gejammert und geschmäht, und im Schutze der Anonymität beklagt so mancher kleine Galerist das Schicksal seiner Ohnmachtsposition. Die Abhängigkeit vom institutionellen Kulturbetrieb, der mit öffentlicher Hand „regulär“ über den Galerie-Weg einzukaufen pflegt, zwingt ihn zum Schweigen von der Schattenseite eines grauen Markts, an dem sich die Großkopferten erbauen.

Nun, liebe Leserin und lieber Leser, Sie haben schon zu Recht vermutet: Es gibt keine Moral von der Geschicht’. Nur etwas Theorietechnik zum Abschluss:

„Der Vorteil in dieser Familie ist ja, dass man sich ständig die Karten zuschiebt, ohne dass Außenstehende es bemerken.“ [8]





Anmerkungen:

[1] Neujahrsanschreiben von Herrn Jürgen Häreus an die „Freunde“
[2] Erich Kästner, Der 35. Mai
[3] Weshalb er ja auch, zusammen mit seinem kongenialen Pendant von Frankfurts führender Nachwuchsschmiede als eine der wenigen (noch) lebenden Personen „der Zeitgeschichte“ auf einer bekannten, lokalen Treppe sein Abbild finden durfte
[4] Die Genossen kommen anscheinend wieder mal nicht aus ihrer Ecke
[5] Neujahrsanschreiben von Herrn Jürgen Häreus an die „Freunde“
[6] Vgl. Robert Pfaller, Die Illusionen der anderen
[7] Mitarbeiterin des MMK
[8] Leo Koenig, Galerist

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Ein Kommentar

Hilflosigkeit

Köln am Main - 05. April 2003 - 11:31

> Von: Stefan Beck <stefan@thing-frankfurt.de>
...
>
> Ich glaube das museum als zentrale institution der sammlung hat ausgedient,
> vor allem technisch überholt, denn das internet bietet für jeden jetzt die
> möglichkeit der sammelns. Man sehe sich einmal an, welche standardsoftware
> heute mit einem PC/Mac ausgeliefert wird, musik- und ...


Ein Zeichen für die Hilflosigkeit der Institutionen mag das heutige Anschreiben von Udo Kittelmann an seine Freunde und Förderer sein. Angekündigt wird die Nacht der Museen und der anlässliche Umbau des MMK in eine "Spielhölle".

Motto: "Kunst und Spiele - Gewinnen Sie doppelt!"

Nein, das habe ich mir nicht gerades ausgedacht. Ich hätte es allerdings auch nicht besser erfinden können. Die Idee, im ganzen Museum [zu diesem an sich bereits unsäglichen Ereignis der Kulturverwässerung] diverse Spielautomaten aufzustellen, und das, in den Worten des Direktors begründet, bar jeglicher Kenntnis moderner Spieltheorie, ist absurd.

"Der Reiz des Spiels liegt in der Spannung, sein Gewinn - wenn es glückt - in der Entspannung." Der geneigte Leser vermisst den "bitteren Ernst", durch den sie das Spiel erst definiert, vermisst zumindest eine kulturtopologische Herleitung über das Spielfeld, jenen magischen Raum - nein, es ist und bleibt ein neoliberales Gewäsch, das keinem etwas tut, in einer Sprache und mit einer Tiefe, die dem "Journal Frankfurt" zu Ehre gediehen hätte.

Erbost: Ich


[posted on thing mailinglist, 21.02.2003]

 

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