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Warum gibt es überhaupt Künstler?

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Und was unterscheidet einen Künstler von mir, so fragte ein Besucher auf der multi.trudi Veranstaltung "kunst=demokratie" im September 2007.

Die Ursprünge der Kunst liegen im Dunkeln. Und werden es immer bleiben. Für unsere Zwecke ist es wichtig, zuerst zwischen Kunst machen und Bilder machen zu unterscheiden.

Bilder schufen die Menschen schon vor mehr als zehntausend Jahren. Kunst, wie wir sie heute verstehen, entstand erst um 1800. Vor kaum 200 Jahren.

Für Kunst braucht es dreierlei Dinge, Kunstgeschichte, Kunsttheorie und einen Kunstbetrieb.

Waren diese bei den Griechen schon in Ansätzen vorhanden, so lagen immer noch Bilder machen und Kunst herstellen nahe bei einander. Die meisten Bilder wurden von Künstler gemacht.

Erst im 19. Jahrhundert änderte sich die Situation, als mit dem Aufkommen von Vervielfältigungstechniken (Fotografie und Lithografie) Bilder von jedermann in großen Mengen hergestellt werden konnten. Als die Künstler ihr Monopol auf Bilder verloren, änderten sie auch ihren Beruf. Künstler wurde fortan jemand, der eine ästhetische Produktion in einem ästhetischen Feld verorten und einzubringen versuchte.

Infolge lässt sich sehen, wie Kunst einer funktionellen Differenzierung unterworfen wurde. Künstler sind schließlich nur noch jene, die Kunst machen. Nicht zeichnen, nicht malen, nicht plastizieren. Nur Kunst.

Aber die Differenz besteht nicht bloß gegenüber anderen Praktiken, sondern unter den Künstlern selbst. Der moderne Künstler hat nichts mehr mit anderen Künstlern gemein. Er/sie unterscheidet sich in allem von allen anderen. Ist Differenz schlechthin.

Boris Groys kann daher mit Recht den Künstler als denjenigen bezeichnen, der uns demonstriert, was es heißt, ein Individuum zu sein.

Ein Individuum ist jemand, der sich beim Beobachten beobachtet. Damit ist der Zweck des Künstlers gegeben. Für die Gesellschaft ist der Künstler ein Agent der Reflektion, der ihr in ihrer totalen Unübersichtlichkeit neue Ordnungen, Zusammenhänge und Sichtweisen gibt. Endzweck kann daher nicht sein, die Kunst oder die Künstler zu verstehen, sondern sich selbst.

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Und was unterscheidet einen Künstler von mir? Das kann ich nicht beantworten, da ich selbst Künstler bin. Neben den obigen Gedanken scheint mir aber bezeichnend zu sein, daß immer stärker Arbeit, Wohlstand, Produktivität unter den Aspekten künstlerischer Praxis diskutiert wird. Soziologen wie Richard Florida prophezeien, daß wir nur noch dann produktiv sein können, wenn wir wie Künstler arbeiten. Ernst gemeint, ist das noch kaum zu verstehen. Denn das würde auch bedeuten, daß der "normale" Arbeiter so chaotisch, unstrukturiert, ungebunden, offen und selbstlos arbeiten sollte, wie ein Künstler. Wie unter solchen Umständen zB. ein Auto hergestellt werden könnte, ist noch unklar. Aber vielleicht braucht es dann auch keine Autos mehr?

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