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Warum die Kunst nicht ganz aufgeben?

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In loser Folge möchte ich hier über einige Aussagen meiner Besucher bei der multi.trudi Veranstaltung "Kunst = Demokratie" nachdenken.

Die Kunst aufgeben? Nun, das ist eine Frage der persönlichen Biografie. Wieviele von denen, die mir mir studiert haben, mögen noch das Leben eines freien Künstlers führen?

Gegenüber den Schwierigkeiten, die diese Lebensführung mit sich bringt, dürften sich für viele die Verlockungen nach Sicherheit und Beständigkeit als übermächtig erwiesen haben. Grafikdesign ist ja auch eine schöne Beschäftigung. Widrige Umstände gibt es in jedem Beruf.

Wenn die Frage nach einer möglichen Aufgabe der Kunst, dennoch einen gewissen schalen Beigeschmack birgt, so mag das an der Erwartung liegen, Kunst könne aus ihren Bedingungen heraus nicht einfach verlassen werden.

Kunst, das ist Berufung, Auftrag, innere Notwendigkeit. Nicht irgendein schnöder Beruf zum Geldverdienen. Kunst zu machen, sich als KünstlerIn zu verstehen, das hat etwas von der Mitgliedschaft in einem unsichtbaren, gleichwohl umfassenden Orden, der ein Gelübde abverlangt hat.

Historisch gesehen, war das nicht immer so. Erst die Freisetzung des modernen Künstlers von den Zwängen der Gesellschaft, der Entbindung von Zünften, Mäzenen und Auftraggebern hat ihn (oder sie) zu einem Berufenen gemacht, der ganz aus sich selbst heraus schafft.

Paradoxerweise hat gerade diese Freiheit den Künstler dahin unfrei gemacht, daß ihm die Freiheit, die Kunst aufzugeben, nicht mehr gestattet ist. Die innere Freiheit des Künstlers kann daher nur durch äußere Zwänge und Zumutungen bedroht werden.

Die eigentliche Brisanz der Frage nach der Aufgabe der Kunst zielt daher auf die Überlegung ab, ob und wie sie ein Akt der Kunst selbst werden könnte.

Wäre es möglich die Abwesenheit von der Kunst als eine Anwesenheit zu gestalten, quasi die Leerstelle, die enstanden ist sichtbar zu machen?

Du fehlst uns, - das ist die gesellschaftlich sanktionierte Form Trauer oder Schmerz über eine Abwesenheit, eine Leerstelle zu äussern.

Ich fehle euch, - der logischen Erwiderung - fehlt jedoch die Gewissheit. Wie kann ich je sicher sein jemandem zu fehlen, wenn er oder sie diesen Fehler nicht zuerst in die Welt stellt?

Ich bin weg. Ich bin woanders. Ich bin abwesend. Das ist als positive Setzung nur zeitlich punktuell möglich. Die Äusserung eines permanenten Fehlens als Daueransage käme doch schliesslich einer Anwesenheit gleich.

Die Abwesenheit, als Entfernung in einem bewußten Akt gedacht, ist nur als kommunikative Geste denkbar, bezogen auf eine Möglichkeit der Rückkehr. Das blosse Verschwinden wäre daher als Akt der Kunst nicht nachvollziehbar.

Ich gehe jetzt. Ich will euch nicht mehr. Aber wenn ihr...., dann komme ich vielleicht zurück.

Die Entfernung, die Abkehr, ohne jede Hoffnung auf Rückkehr ist nicht ohne Schwierigkeit aufrecht zu erhalten. Emigrantenschicksale.

Wenn ich die Kunst aufgebe als Botschaft an die Kunst, wo wäre der Ort in der Kunst, der diese Botschaft aufnähme? Wäre etwa ein Museum, der abwesenden, der abgefallenen Künstler denkbar?


***

Neulich schrieb mir Herr Hllr aus Berlin zu meiner Selbsteinschätzung als "minor artist":

"Wenn Sie zwischen der Unmöglichkeit nicht Kunst zu machen und der Unmöglichkeit Kunst für den Kunstmarkt zu machen und der Unmöglichkeit anders Kunst zu machen leben, dann sind Sie, lt. Deleuze/Guattari in der Tat ein "artiste mineure". Oder in deren Worten "deterritorialisiert". (Im Worterbuch des Unmenschen steht hier der Begriff "wurzellos". Im Gehege der Rhizomatiker kann man das aber mal so stehen lassen.) Ihr Emmigrationsbegehren, die Sehnsucht nach einer (neuen) Heimstatt läuft da wohl ins Leere..."

http://www.ipernity.com/blog/16844/25418/comment/632182#comment632182

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