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Polizei suchen Internet

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Neulich hörte ich, ein Politiker habe gefordert, die Polizei müsse das Internet genauso durchsuchen, wie sie im öffentlichen Raum auf Streife ginge.

Die Polizei als Googlebot? Eine Analogie von Internet zum öffentlichen Raum wirkt hier naheliegend, geht aber von der Struktur des Internets her nicht auf.

Der öffentliche Raum in Rahmen nationalstaatlicher Prägung ist in erster Linie auf Kontrolle gegründet, auf Pflicht und Gehorsam, auf Recht und Gesetz.

Das Internet hingegen ist weitgehend frei von solchen Zwängen. Der grundlegende Impuls des Internets ist Freiwilligkeit. Niemand ist zu irgendwas gezwungen. Wo Zwänge existieren, z.B. seine Identität preiszugeben, können sie leicht ausgehebelt oder relativiert werden.

Die Menschen gehen nicht zu Myspace, Youtube oder Flickr, weil sie von einer übergeordneten Institution dazu angehalten würden, auch nicht, um Arbeiten und Geld verdienen zu müssen, sondern aus freien Stücken. Wenn es ihnen dort nicht gefällt, können sie genauso wieder gehen, wie sie gekommen sind. Ohne Gründe angeben oder Sanktionen befürchten zu müssen.

Wenn die Polizei einer Überwachung des Internets nahe kommen wollte, so müsste sie sich an den Strukturen jener Gebilde orientieren. Kein Mensch im Internet geht mehr als nötig und lange verweilend auf Internetseiten wie bundesregierung.de, verfassungsschutz.de oder polizei.de. Warum? Weil diese Seiten komplett unattraktiv sind. Neue Freunde gewinnen, Spiele oder mp3s tauschen, alles Fehlanzeige.

Folglich sind auch Kampagnen wie Du bist Deutschland komplett unsinnig. Wer jemand ist, erfährt man nicht auf deutschland.de sondern auf myspace.com

Die Webseiten staatlicher Organe sind Repräsentanten von Kontrollmechanismen, die im Internet jegliche Glaubwürdigkeit und Anziehungskraft verloren haben.

Im Gegenteil ist zu beobachten, wie Menschen sich auf Myspace oder Youtube entblössen, wie sie es weder dem Einwohnermeldeamt, noch den eigenen Nachbarn gegenüber täten. Und freiwillig.

Ich suche nicht.Ich finde?

Daß das traditionelle Suchen seinem Ende zugeht, zeigen die jüngsten Aktivitäten der grossen Suchmaschinen. Yahoo kaufte die Phototauschbörse Flickr, Google dessen Pendant Youtube. Ihre Gemeinsamkeit liegt in der Abkehr vom willentlichen Auffinden verborgener Gegenstände, - in einer Zuwendung einer emergenten Produktion sozialbedingtabhängiger Fakten.

Noch findet Google für mich, aber in absehbarer Zeit wird del.icio.us Google überholen, weil Millionen User etwas gemeinsam herstellen, bevor es überhaupt gesucht werden muss.

Wenn es eine Zukunft staatlicher Überwachung des Internets geben kann, dann nicht in der Übernahme eines monströsen Polizeigoogle, sondern in der Schaffung von Gebilden, Autopoiesen könnte ich sie nennen, in denen die Menschen von sich aus das produzieren, was die Polizei braucht. Wahrlich eine Aufgabe.

* * *

Eine Parallele zur Kunst ist hier leicht zu ziehen. Noch wirken Museen, Galerien, Kuratoren so, als wären sie eine Art von Google, das das noch unendeckte doch gleichsam unbewusst begehrte sichtbar macht.

Die Lehre, die das Internet der Kunst aufgibt, sei sie materiell oder nicht, besteht darin, daß es nichts vorgängiges gibt, das enthüllt werden müsste. Sondern, daß die Kunst unwillkürlich von denen (vor)produziert wird, die sie zu suchen vorgeben.

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