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„Sie leisten gute Arbeit“

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Was haben ein Kunststudium, ein Hochhaus, ein Sportverein gemeinsam?
Im folgenden wird der Versuch unternommen sie als ideologische Konstrukte, als Ergebnisse und Auslöser diskursiver Praktiken zu verstehen.

Anlässlich seiner Einführung in das Rektorat der Wiener Akademie der Bildenden Künste im Jahre 2000 wurde Boris Groys gefragt, was ein Kunststudium heute noch leisten könne. Es könne, so meinte er, zur Abwehr unerwünschter Diskurse dienen. Von allen Seiten drängten auf den Menschen Diskursangebote ein, die nach Teilnahme und Zustimmung riefen. So etwa der Freizeit-Diskurs, der Fitness-Diskurs, der Schönheits-Diskurs und viele mehr.
Dieser sich zu erwehren bedürfte ständiger Anstrengung und Ausbildung.

Auch wenn die Zweckdienlichkeit eines Kunststudiums damit sicher noch nicht erschöpfend ausgedeutet ist, leistet dieser Hinweis einen entscheidenden Beitrag zur Verortung intellektueller Verantwortung und Glaubwürdigkeit.

Diskurse, verstanden als implizite Regelwerke sprachlicher Performanzen, lenken und steuern Handlungsoptionen der unter sie gefassten Subjekte. Diskurse als solche zu erkennen und zu benennen ist daher ein wichtiger Schritt zur Handlungsfreiheit.

Wenn daher Kurd Alsleben auf der zurückliegenden Konferenz „Bedeutungen konversieren“ eindringlich danach fragte, wo denn jeder einzelne (Künstler) in seiner konkreten Existenz gerade stehe, so ist der Hinweis auf den Hochhausdiskurs in Frankfurt keineswegs fehl am Platze.

Ja, wir haben hier in Frankfurt einen Hochhausdiskurs, der quer durch alle Sparten hindurch die Daseinsberechtigung von Hochhäusern fundiert. Architekten führen einen ästhetischen (Wer baut das schönste, tollste, bedeutendste...?), Städteplaner und Bauherren einen Nützlichkeits-Diskurs, Investoren einen Rentabilitäts-Diskurs, die allgemeine Öffentlichkeit einen Sinnstiftungs- und Identifikations-Diskurs („Hier fühl ich mich zuhaus...“).

Im Ergebnis entstehen dann Hochhäuser, wenn einer Seite es gelingt ihr Vorhaben mit dem auf breiteste Zustimmung stoßenden Diskurs zu verknüpfen.

Nicht immer spitzt sich die Abwehr eines Diskurses in derartiger Form zu, wie in Person der alten Dame, die selbst für Millionen ihre Wohnung nicht verkaufen wollte, um Platz für das Campanile Projekt auf der Hauptbahnhof Südseite zu schaffen. Was immer letztlich ihre Entscheidung begründet haben mag, für ihre Person war der zurückliegende Hochhausdiskurs nicht einleuchtend, und daher nicht wirksam. Das Gebäude wurde nicht errichtet.

Gerade aktuell kann man ein vergleichbares Phänomen in Hamburg Finkenwerder beobachten, wo einige Grundstückseigentümer sich bislang partout weigerten, ihr Land der Stadt Hamburg und dem Airbus Konzern für eine neue Landbahn zu überlassen. Einer von ihnen hat jetzt offensichtlich doch verkauft.

Nicht immer kommt es zu derartigen Konfrontationen, in der einige wenige Individuen sich gegen das Gemeinwesen oder industrielle Komplexe stellen, aber wo sie entstehen, ist sehr deutlich der Kampf um die Macht des Diskurses zu beobachten. In Hamburg stehen sich „Arbeitsplätze“ (= Gemeinwohl) dem Wunsch auf Selbstbestimmung, Eigentum (in sich selbst ein mächtiger Diskurs), und Naturerhalt gegenüber.

Seit Groys’ Bemerkung ist ein überaus wichtiger Diskurs hinzugekommen, der des „Terrors“ und des „Terrorismus“.
Bevor man überhaupt zu den Inhalten dieser Begriffe kommen kann, gilt es zu bemerken, dass sie kaum abzulehnen sind. Es wohnt ihnen eine quasi übernatürliche Existenz inne, in der Form der Annahme, dass es „Terror“ und „Terrorismus“ tatsächlich gebe.

Im Effekt liegt es daher vielleicht nicht allzufern, zu vermuten hier seien die alten Feindbilder des kalten Krieges „Kommunist“, „Kommunismus“ beerbt und der veränderten weltpolitischen Lage angepasst worden.

Man muss sich bedroht fühlen, um jemand zu sein.

Um nochmals auf die Rolle des Kunststudiums zurückzukommen, so sei hier bemerkt, dass selbst immer schon immer wieder sich ändernden Diskursen unterliegt. Diese können sich um „Zweckfreiheit“, „Individualität“, „Kreativität“ oder „Expressivität“ drehen, um nur einige zu erwähnen.

Ihr ideologischer Überbau wird in der Regel von Instituten der Kunstgeschichte oder der Kunstkritik gebildet. Letzteres besitzt auch die hiesige Städelschule seit gut zwei Jahren.

Auf der Homepage des Instituts liest man die wenigen Worte:

Institut für Kunstkritik
„Darum muss jegliche Theorie der Kunst zugleich Kritik an ihr sein“, Theodor W. Adorno.

Das „Institut für Kunstkritik“ wurde von Daniel Birnbaum, Rektor der Städelschule Frankfurt und Isabelle Graw, Professorin für Kunsttheorie an der Städelschule Frankfurt, im Sommer 2003 gemeinsam gegründet. Es setzt sich mit der Praxis der Kunstkritik und ihren disziplinären Bezügen auseinander. Das Institut lädt Kunsthistoriker, Kritiker und schreibende Künstler wie in der Vergangenheit Benjamin Buchloh, Yve-Alain Bois, Tom Holert und Molly Nesbit ein, und profitiert von den lehrenden Professoren, etwa dem amerikanischen Architekturtheoretiker Mark Wigley oder dem in Frankfurt lebenden Kunstkritiker Eduard Beaucamp. Das komplexe Verhältnis zwischen „Kunstkritik“ und „künstlerischer Praxis“ lässt sich an der Städelschule, die ja für die Aufgeschlossenheit und Experimentierfreude ihrer Studierenden bekannt ist, besonders gut studieren.


In welcher Weise das vorangestellte Adorno Zitat auch Verpflichtung für das Institut darstellt, ist dem Text leider nicht zu entnehmen.

Versuchen wir ein kleines Beispiel:

Auf der Startseite des Frankfurter Kunstvereins lesen wir seit einiger Zeit: „DekaBank Partner des Frankfurt Kunstvereins.“

Bei einer Tochter der Deka (Deka Immobilien Investment GmbH) trat vor einigen Monaten ein handfester Skandal auf, bei dem in Grundstücksgeschäften unnötigerweise Makler eingeschaltet wurden, deren Provisionen als Schmiergelder wieder an die Auftraggeber zurückflossen. (siehe http://www.manager-magazin.de/geld/artikel/0,2828,316915,00.html).

Im Sinne einer „Theorie der Kunst als Kritik der Kunst“ müsste daraufhin die Frage erlaubt sein, ob sich seinerseits der Kunstverein noch einen solchen Partner leisten könne. Denn umgekehrt sind Unternehmen oft sehr zögerlich, wenn es um Förderung von Kunst und Kultur geht, wird doch (manchmal zu Recht) vermutet, es sei nicht abzusehen, inwiefern die Unabgesichertheit moderner Kunst nicht dem Image des Unternehmens möglicherweise schaden könne.

Gerne bleiben daher Unternehmen wie die Deutsche Bank bei der Kulturförderung auf der sicheren Seite, wenn sie z.B. die Deutsche Guggenheim im Berlin unterstützen, die dem historisch bewährten und gesegneten vertraut.

Im Sinne einer Ideologiekritik wäre hier manches Feld zu bearbeiten. Stellt doch Althusser in seinem Artikel „ideologie + ideologische staatsapparate“ das folgende fest:

Diese Ideologie spricht von Handlungen: Wir werden von Handlungen sprechen, die sich in bestimmte Praktiken einfügen. Und wir konstatieren weiter, dass diese Praktiken durch Rituale, in welche sie sich einfügen, innerhalb der materiellen Existenz eines ideologischen Apparates geregelt werden. Hierbei kann es sich bloß um einen ganz kleinen Teil dieses Apparates handeln: ein kleiner Gottesdienst in einer kleinen Kirche, eine Beerdigung, ein Sportkampf in einem Sportverein [Fittnes-Diskurs!], ein Tag in einer Schulklasse... [...]

Verschwunden ist: der Ausdruck Ideen.

Geblieben: die Ausdrücke Subjekt, Bewusstsein, Glaube, Handlungen. Neu hinzugekommen: die Ausdrücke Praktiken, Rituale, Ideen, Apparat. [...]

Die Ideen als solche sind verschwunden (insofern sie mit einer idealen, geistigen Existenz behaftet sind); und zwar insofern sich zeigte, dass ihre Existenz nicht zu trennen war von den Handlungen bestimmter Praktiken, die von Ritualen geregelt werden, welche ihrerseits in letzter Instanz durch einen ideologischen Apparat deformiert sind. Daraus ergibt sich also, dass ein Subjekt handelt, insofern es durch das folgende System bewegt wird (hier dargestellt in der durch seine wirkliche Determination bestimmte Reihenfolge): eine in einem materiellen ideologischen Apparat existierende Ideologie, die bestimmte materielle durch ein materielles Ritual geregelte Praktiken vorschreibt, wobei diese Praktiken wiederum in den materiellen Handlungen eines Subjekts existieren, das mit vollem Bewusstsein seinem Glauben entsprechend agiert.


Fraglich, ob sich das Institut für Kunstkritik an der Staedelschule bereit findet, Althusser darin zu folgen. Dennoch erklärte mir eine Journalistin der FAZ auf meine Zweifel hin, sie (Birnbaum und Graw) leisteten „gute Arbeit“.


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