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Beiträge zu einer Ästhetik der Teilnahme V

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Zur fünften Veranstaltung von trudi.sozial. Eine von Herrn Braan eingeworfene Einladungskarte des MMK zur Verleihung des Karl-Ströher-Preises an den Frankfurter Künstler Tobias Rehberger nehmen wir zum Anlass uns im weitesten Sinne mit Kunst zu beschäftigen. In welchem Sinne ist eine Ästhetik der Teilnahme zu begreifen, deren Kunst sich Formen des Designs, der Werbung und der Massenkultur (Pop, Club, Party) zu versichern scheint?

"Wenn man die Welt im Vor- und auch im Hinterzimmer ordentlich gestapelt
hat, ist es plötzlich sehr hilfreich, wenn einem beim Umstapeln etwas
geholfen wird, möglichst so, dass einem der Bettvorleger plötzlich zum
Tiger wird."

Diesen Text von Rehberger lesen wir auf der Einladungskarte und verstehen ihn nicht. Die Karte selbst zeigt ein Spanferkel; von Bettvorleger oder Tiger keine Spur.
Wir wollen uns auf eine weitere Exegese nicht einlassen, bezeichnen die Sache schlicht als „Unsinn“ und fragen uns: Welchen Sinn macht solcher Un-Sinn in der Kunst? Wo kommt er her?

Punkt 1: Wir lassen die Semantik außer acht und verweilen bei der Pragmatik. Die Karte kündigt ein Ereignis an, - ein wichtiges, aber keins, daß noch besonderer Überzeugung bedürfte. MMK, Rehberger und Ströher-Preis sind in dem Moment Synonyme. Das ist ähnlich, wie „Ostklub“ und „Party“. Wir erkennen an der Karte daher die Merkmale des Party-Flyers, Gestaltung und Inhalt stehen in Widerspruch zu einander, der Inhalt geht über selbstreferentielles Kreisen um sich selbst nicht hinaus.
Michel de Certeaus Unterscheidung zwischen Strategien und Taktiken erscheinen uns hier nützlich. Das Museum wäre ein Ort der Strategie, die Party- oder Subkultur ein Ort der Taktik. Hier wird ersichtlich, daß derjenige, der eine Strategie haben sich auch taktischer Verfahren bedienen kann. Nicht aber umgekehrt. Das Museum tut für einen Moment so, als wäre es eine flüchtige subkulturelle Einrichtung, die der Szene ein vademecum fürs nächste Event zuschiebt.

Punkt 2: Wir lesen bei Sloterdijk (Kritik der zynischen Vernunft) über die Verfahren Aufklärung abzuwehren: So tun, als ob nichts paasiert wäre. Nicht zur Kenntnis nehmen, aussitzen. Sich aneignen und ins Gegenteil verkehren: „Aber das haben wir ja schon immer gesagt......“. Inhalte anerkennen, aber nicht die Konsequenzen.

Punkt 3: Semantik und Rhetorik. Freud über die Verneinung. „Es ist nicht die Mutter. Also ist es die Mutter.“ Ergo: „Wir reden Unsinn, also ist es Sinn.“
In der klassischen Rhetorik finden wir ähnliche Formen (Oxymoron, Paradox etc.), wie die doppelte Verneinung, die auf wechselseitiger Verschränkung von Sinn und Unsinn beruht. Wo es Sinn gibt muss es auch Unsinn geben und umgekehrt.

Punkt 4: Soziografie der Kunst. Kunst ist ein Feld innerhalb der Gesellschaft, was sich gleichzeitig autonom zur Gesellschaft verhält, und aus dieser Differenz eine Spannung produziert, die je nachdem Lust oder Unlust produziert.
In der Kunst ist als Kunst erlaubt, was sich die Gesellschaft sonst verbietet.
Wir können damit auch von Watzlawick ausgehend das Konzept der Symptomverschreibung heranziehen: Der von der Gesellschaft produzierte Unsinn, als Abfall (Ab-Fall) gesehen, wird ihr von der Kunst her als Verhalten vorgeschrieben (rezeptiert, als Rezept verabreicht), das sie in die paradoxe Situation bringt, ihn an ihr selbst zu re-produzieren.
Selbst rationale Kunst handelt von einer anderen Rationalität als die der Gesellschaft.
Unter Bezugnahme auf Sevendsons Theorie der Langeweile liesse sich feststellen, daß in einer Kultur der Immanenz die Unterscheidung von Sinn und Unsinn selbst keinen Sinn macht, weil es kein Äußeres mehr gibt, von der dies aus beurteilt werden könnte. Einzig „das langweilt mich jetzt“ bleibt. Damit entsteht der Kunst eine Nähe zum Spiel, das ernster ist als der Ernst der Gesellschaft.
Der Spaß der Spaßgesellschaft ist ihr kein Spaß sondern Ernst.

Punkt 5: Analyse der gesellschaftlichen Sinnes.
Eine Person mit gesellschaftlichem Sinn (Museumsdirektor) kann Unsinniges äussern, um sich selbst dadurch mehr Sinn zu geben.
Fordert das Publikum das nicht geradezu heraus: „Moderne Kunst ist Scheiße!“?
Freud sagt, ich könne Sinn, den ich nicht in mir finde durchaus in anderen finden. Hiesse das nicht: Unsinn in anderen macht mir Sinn: „Ich bin Scheiße.“
Womit wir abschliessend bei der Simmelschen Blasiertheit wären. Der moderne Mensch muß festellen, daß er die Komplexität der Gesellschaft um ihn herum nicht mehr in sich selbst wiederfindet. Er ist im Gegenteil weniger komplex, reichhaltig, differenziert. Diese Kränkung kompensiert er damit, daß er sich kühl, abgeklärt, hochnäsig gegenüber seiner Umgebung benimmt. Sein Verhalten als Unsinniges macht daher Sinn.

Note: Ein Projekt von trudi.sozial

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