Rettet die U-Bahn?
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Ich will mich hier nicht zur Sache äußern, inwiefern es sinnvoll oder nicht ist, das Frankfurter U-Bahn Netz in einem sogenannten Cross Border Leasing an amerikanische Investoren zu vermieten.
Übel missfällt mir hingegen die in der Diskussion darum aufgewendete Rhetorik des Konservativen in Floskeln des „Rettens, Schützens, Bewahrens“ etc
Hier hat sich in den letzten 20 Jahren ein reaktiver, wenn nicht gar reaktionärer, Diskurs eingeschlichen, der die Bewahrung von Bestehendem vorbehaltlos und normativ über die Schaffung von Neuem setzt. Vorreiter auf diesem Gebiet waren und sind die Grünen, die es geschafft haben, den Gedanken des Erhaltens (Nietzsche: antiquarische Historie) aus seinem konservativen Umfeld zu lösen und mit der Idee des Fortschritts zu verbinden. In Folge dessen haben sich die Fronten vertauscht. Ehemals Konservative (CDU) können nun für Neues (Gentechnik, Atomkraft, Transrapid) eintreten und neue Fortschrittliche Tradition und Restauration auf ihre Fahnen schreiben. Die Trennlinie zwischen beiden Positionen verläuft dabei nicht sonderlich scharf. Das Eintreten für Werte wie Ehe und Familie, der Schutz des ungeborenen Lebens mag durchaus mit der Gentechnik kollidieren, wie die Ablehnung von Atomkraft die Befürwortung von Schwangerschaftsabbruch, Frauen im Berufsleben oder Homo-Ehe nicht ausschließt.
Problematisch im letzteren Fall bleibt allerdings der Moralismus mit dem ein Ethos des Rettens, Schützens und Bewahrens automatisch für gut erklärt wird. Hinterfragt nach der Begründung dieser Einstellung wird unvermeidlich auf „Natur“ oder „die Natur“ rekurriert.
Um in Frankfurt zu bleiben, findet sich dort ein weiterer Fall, der dies exemplarisch belegt. Seit geraumer Zeit ist die Maininsel unterhalb der alten Brücke zur Bebauung vorgesehen. Nachdem der Ausstellungsraum Portikus dem Neubauprojekt einer Stadtbücherei samt Literaturhaus weichen musste, ist seine Neuansiedelung auf der Maininsel geplant, samt einer „Erlebnis-Gastronomie“, die von Investor Ardi Goldman betrieben werden soll.
Zitat: „"Ist es denn zu viel verlangt, dass ein Platz in Frankfurt mal der Natur überlassen bleibt und nicht für den Reibach ausgeschlachtet wird?" das fragt die Bürgerinitiative "Rettet die Maininsel" provokativ. Das fragen sich auch mittlerweile Hunderte von engagierten Frankfurter Bürgern (Unterschriftenlisten), die meisten politischen Parteien im Ortsbeirat und die Mitglieder der Tierschutzvereine und Umweltverbände. [...]Spaziergänger, Rentner, Ruhesuchende und vor allem Familien mit Kindern, allesamt ohne große Lobby, finden hier neben den städtischen Parkanlagen einen direkten Kontakt zur Natur“ (Umweltzeitung)
Sicherlich ist an diesem Projekt einiges fragwürdig. Z.B. warum in Zeiten knapper Kassen doch noch Geld für einen Neubau des Literaturhauses vorhanden ist. Sowie, warum der Portikus, dessen Charme das Provisorische war, nun in einem architektonisch ambitionierten wie auch öden Fixbau verlegt werden muss. Zumal in ungeklärter Verbindung mit der Gastronomie eines Herrn Goldman. Reichen die Edel-Fress-Tempel, die sich an Schirn und Städel angesiedelt haben dem frivolen Kunst-Genuss nicht aus? Nicht, daß ich den Portikus mit aller Gewalt als Baracke bewahrt haben wollte, aber gibt es nichts wirklich neues, innovatives mit einem Ortswechsel zu verbinden?
Nun hat sich eine Bürgerinitiative gegen dieses Vorhaben gebildet, die ausgerechnet mit dem Naturschutz als Argument vorgeht. Sicherlich, es wird hier kein Parkplatz, keine Betonsiedlung, verteidigt, aber handelt es sich bei der Maininsel ihrer Bäume und der Gänse zum Trotz wirklich noch um Natur? Ist nicht diese Anlage etwas durch und durch Künstliches, dem Strom (der auch kein rauschender Wildbach mehr ist, sondern eine Fahrrinne!) abgetrotzt und befestigt, von der umgebenden Stadt isoliert und darum besonders hervorgehoben. Und die Tiere, das sind auch keine „Wilden“ mehr, sondern verstädterte, an diese Bedingungen adaptierte, letztlich künstliche Geschöpfe, wie Tauben, Amseln oder Marder. Wer hier von „Natur“ spricht verwechselt diese mit Natürlichkeit. Gut, es hat sich halt so ergeben, wir haben uns dran gewöhnt. Aber es könnte auch anders sein.
Peter Sloterdijk hat in der Diskussion um die Gentechnik eindrücklich darauf hingewiesen, daß es erst eines Diskurses über die Natur bedurfte, um in ihr dann den Platz des Urgrundes, Unveränderlichen zuzuweisen, vor dem sich dann Gentechnik abheben konnte, als Gefahr dessen dargestellt, was zuvor als Tabu erst geschaffen wurde.
(Vorher hat schon Baudrillard in „Amerika“ auf diese Grundzüge der amerikanischen Gesellschaft hingewiesen: „Save time. Save money. Save energy. – phobische Gesellschaft“ – Worin besteht diese Angst, die kleinlich verlangt alles zusammenzuhalten, sich nicht zu verausgaben? Vielleicht, die Natur zu verlieren, die der Mensch gerade nicht ist, aber in bloßer Negativität nicht wirklich Nicht-Denken mag?)
Natur ist ein künstliches, vom Menschen geschaffenes Produkt, sie ist nicht a-priori da, sondern schöpfend entdeckt worden. (Und darum auch im Bio-Laden käuflich zu erwerben).
Fazit: Der Diskurs des Rettens, Schützens, Bewahrens ist nicht nur falsch, sondern auch kontraproduktiv. In Deutschland als „Novemberland“ ausgezeichnet erhält dadurch das Jammern und Lamentieren („alles wird schlechter“, „alles wird kaputt gemacht“ etc.) die nötigen höheren Weihen eines außer-menschlichen Wesens (es west!), Natur. Sagen wir doch einfach Gott und Amen.