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die Arme rings im Kreise - Ausstellung von Lisa Meixner

13. February 2009

Zu Lisa Meixners die Arme rings im Kreise
Ich sehe einen aus Ton geformten Baumstamm mit tief liegenden Augen, einer
knubbeligen Nase und großen Ohren, die auch Aststümpfe sein könnten. Das
Baumstammgesicht liegt auf einem Badetuch. Dazwischen befindet sich der Ausdruck
einer Farbfotografie, die vermutlich aus dem Internet stammt. Ein rauschender
Wasserfall stürzt am Rande einer grasgrünen Landschaft eine Felskante hinab, die Gischt
steigt wie eine riesige weiße Wolke zum bedeckten Himmel empor.
Ein Junge blickt in die Ferne, in seiner rechten Hand hält er einen Ast, den er als
Wanderstock verwendet. Mir scheint er ist im Aufbruch, hält Ausschau nach einem
Abenteuer, träumt sich auf das unbekannte Eiland. Im Moment jedoch steht er neben
einem Lehm-Iglu, im Hintergrund ist die Fotografie einer Lampe auf einer Kommode zu
erkennen. Davor steht, aus Ton modelliert, eine Rose in einer Vase. Neben dran stapft
ein kleines Mädchen im rosa Wintermantel und gelben Stiefeln durch eine weiße Fläche,
die zugleich Tischdecke und Schneelandschaft ist. Jetzt erscheint der Junge, der wie das
jüngere Kind aus einem Foto ausgeschnitten ist, für die winterlichen Temperaturen zu
leicht bekleidet. Diese kleinen Widersprüche zeigen, dass Lisa Meixners Assemblagen und
Inszenierungen in kleinen Papierbetonkästen nicht die eine Geschichte erzählen, sondern
ihr Grundthema in diversen Ausprägungen darstellen.
Jedes Kind weiß, dass ein Käfer ebenso ein Auto wie ein kleines Tier mit sechs Beinen
ist, der fährt oder krabbelt und manchmal auch fliegt – wie Dudu das verrückteste Auto
der Welt. Die Erklärung dafür ist, dass Worte nicht nur eine Bedeutung haben sondern
mehrere, und deshalb müsste der Satz auch korrekt lauten: der Terminus Käfer
bezeichnet sowohl ein Tier aus der Klasse der Insekten als auch das Automodel VW Käfer
der heutigen Volkswagen AG.
Was ich beschreibe, das sehe, erinnere und denke ich, wenn ich die zum Teil nur 12 x 16
x 7 Zentimeter kleinen Betonkästen betrachte – mit den Titeln Tholoserweiterung I (Der
fliegende Robert), Tholoserweiterung II (Gregor), Tholoserweiterung III.
Was ist der oder die Tholos? Mit Wikipedia finde ich heraus: Es heißt die Tholos und
kommt aus dem Griechischen und bezeichnet in der griechisch-römischen Antike
zunächst einen sakralen Rundbau mit und ohne umgebender Säulenstellung. Später wird
der Begriff auf jeden Rundbau und insbesondere das runde Dach ausgedehnt. Des
Weiteren finde ich Abbildungen vom Löwentholos in Mykene, einem Tholos in Delphi und
von so genannten Bienenkorbhäusern aus Lehm in Syrien und der Türkei, die, wie ich
jetzt feststelle, haar genauso aussehen, wie das zuvor als Lehm-Iglu identifizierte Objekt
in Tholoserweiterung III.
Die Frage was ein Lehm-Iglu mit einer Tholos zutun hat, hätte ich damit geklärt. Aber
was mache ich mit der Schildkröte auf dem Badetuch unterm Sonnenschirm? Die
Verbindung Tholos und Schildkröte im Badeurlaub erschließt sich mir noch nicht. Eine
Vermutung drängt sich auf: die Arbeit von Lisa Meixner erzählt nicht in all ihren Facetten
die historische Entwicklung des Rundbaus von der Eisenzeit bis in die Gegenwart.
Vielmehr gelange ich zu der Frage: was ist ein Rundbau? Ein Rundbau, ist ein rundes
Gebäude oder vereinfacht gesagt, ein rundes Haus. Wer hat Häuser? Meine Eltern
haben ein Haus, das ist allerdings eckig. Eine Schnecke hat ein Haus, das ist wiederum
rund. Eine Schildkröte hat einen Panzer der mehr oder weniger rund ist. Was tut der
Panzer ebenso wie das Schneckenhaus? Er beschützt die Schildkröte vor ihren
Fressfeinden und der Sonnenschirm schützt sie vor der Sonne und der VW Käfer war das
beliebteste Auto der Deutschen um in der Wirtschaftswunderzeit in den Urlaub nach
Italien zu fahren und so schließt sich der Kreis.
Dennoch übersehe ich etwas, wenn ich, beim Betrachten des Jungen und seinem Lehm-
Iglu, an meine Kindheit denke und mich erinnere, wie mein Bruder und ich im Winter
Schneehöhlen graben und im Sommer Baumhäuser bauen, wie ich mit einem Stock in
der Hand den Arnsberger Wald durchstreife und mit meinem besten Freund einen kleinen
Bach aufstaue, bis sich das Wasser über den Damm aus Ästen und Steinen und
Erdmatsch ergießt.
Es ist die kleine Schwarzweißfotografie eines von Geschossen durchlöcherten Stahlhelms
auf dem Grab eins toten Soldaten, die mir ins Gedächtnis ruft, dass Panzer und
Fallschirme auch Kriegsgerät sind.
Eine andere Fotografie, die in die rechte obere Ecke der Assemblage Kreneerweiterung I
geklebt ist und ebenfalls während des Zweiten Weltkriegs aufgenommen worden ist, zeigt
einen mit Bäumen bewachsenen Platz, der von einfachen Häusern umgeben ist. Auf der
freien Fläche steht ein Brunnen, aus dessen steinernen Bassin eine russische Bäuerin mit
einem Becher Wasser in einen Eimer schöpft. Ein kleiner Junge, der an einen der Bäume
angelehnt steht, schaut augenscheinlich vom Anblick des Fotografen fasziniert in die
Kamera.
Ein Tonklumpen mit sechs längeren Zahnstochern als Beinen und zwei Kürzeren als
Augen oder Fühlern, mag in seiner Machart denen der Kastanienmännchen von
Kindergartenkindern entsprechen, eine hinzugefügte Textstelle, die die Hilflosigkeit eines
auf dem Rücken liegenden Käfers beschreibt, deutet an, dass auch Lisas Welt, nicht frei
von Sorgen ist.*
In ihren Kästen und Skulpturen verdichten sich die Artefakte und Zitate der Dichter des
bürgerlichen Bildungskanons mit Fundstücken aus Werbung und Low Culture. Die
Ergebnisse wissenschaftlicher Recherche finden ihren Ausdruck im Märchen, in Knet-
Lehmfiguren und Buntstiftzeichnungen. Lisa Meixner betreibt keine Kulturanthropologie
im eigentlichen Sinne. Sie befragt die Worte und die Dinge, untersucht ihre
verschiedenen Bedeutungen (Krene** = Quelle, Brunnen) und Ausprägungen (Sonnen-,
Regen-, Fall- und Lampenschirm) und zeigt die Verbindungen (Bienenstockhaus und
Schneckenhaus/Schildkrötenpanzer) zwischen ihnen auf. Sie fügt den Lach- und
Sachgeschichten sowie den Enzyklopädien eigene Perspektiven hinzu.
Zum Schluss muss ich feststellen, dass der fliegende Robert ein unglücklicher Junge ist,
der mit seinem Regenschirm vom Wind davongetragen wird, weil er bei Sturm nicht zu
Hause bleiben will.*** Dabei habe ich gedacht, er wäre ein Karlsson vom Dach, der
fliegen kann, immer macht was er will und damit auch durchkommt.
Somit stellt sich als letzte Frage, ob diejenige BetrachterIn, die schon weiß, was eine
Tholos ist mehr von dieser künstlerischen Arbeit hat, als jemand wie ich, für den
zunächst eine Schildkröte einfach Urlaub macht? Für mich bleibt sie offen. Die Offenheit
an unterschiedlichen Stellen in die etymologischen und kulturanthropologischen
Untersuchungen einzusteigen und den Erzählungen der Tonfiguren, Fotografien und
Textfragmente zu folgen und in eigenen Assoziationen fortlaufen zu lassen, zeichnet
diese künstlerischen Arbeiten aus.
Thomas Hesse, 2009
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