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Tresurbain: Systembaukasten: Dos und Donts des abendlichen Weggehens

21. 1. 2003

Weggehen am Abend hat immer etwas von “sich beim Beobachten selbst zugucken“. Was macht einen Abend gelungen oder nicht? Ein schlechter Abend ist auf jeden Fall, wenn man alleine weggeht und den ganzen Abend einsam an der Bar oder auf einer Bank sitzt und niemanden kennt. Das mag nicht nur für einen selbst unerfreulich sein, es ist zudem mit Prestigeverlust beim ebenfalls beobachtenden Publikum verbunden. Das Ganze läßt sich noch toppen, indem man unbeabsichtigt zu erkennen gibt, dass man sich in dieser Position sichtlich unwohl fühlt und dieses Unwohlsein durch panischen Konsum von Alkohol oder Nikotin kaschieren versucht. Weitere Symptome sind stetes Zurechtzupfen des Tshirts, Handy überprüfen, etwas in der Tasche/Rucksack suchen (was natürlich nicht gefunden wird, aber nicht verhindert, es in regelmäßigen Intervallen immer wieder zu versuchen). Manchmal ist das mit schüchterner Kontaktaufnahme verbunden, in etwa: “Hast du mal Feuer!” oder “Kannst du mal einen Blick auf meine Sachen haben, ich hol was zu trinken, geh aufs Klo, brauch ein neues Päckchen Kippen, stürz mich vors nächste Auto etc...”

Das gegenteilige Optimum ist es, alleine zu kommen, aber mit mindestens drei Personen längere Gespräche zu führen. Besonders gelungen, wenn zwei davon allseits bekannt sind (“man gehört dazu”) und letzterer gänzlich unbekannt, bestenfalls merkwürdig und skurill (“man ist kontaktfreudig und gewitzt”). Diese Gespräche sollten von mind. 30 Minuten Dauer sein und von Lachen, gegenseitigen Antippen, sich Feuer geben (ohne vorher fragen zu müssen) und einem gelösten Gesamteindruck begleitet sein. Allerdings darf es nicht zu lustig oder gar albern wirken. Lieber mit bösen und gelangweilten Gesichtseindruck ernsthaft diskutierend an der Wand lehnen, als unreif kichernd durch den Raum zu toben. Obwohl das (da extrovertiert) immer noch besser ist, als das isolierte Rumsitzen. Ein hohen Prestigegewinn kann man erzielen, wenn man entweder den DJ oder jemanden an der Bar kennt (“Insider“) und sich dort länger aufhält.

Mit einem begrenzten Reservoir an Themen kann man die notwendigen Gespräche lange lebendig halten. Ein guter Einstieg ist es auf gemeinsame Bekannte zu verweisen, besonders gelungen, wenn es in Kombination mit einer anderen “Party location” kommt, z.B. “Ich war ja vorher noch im Raum YXZ was trinken und habe dort den ABC getroffen. Der will nachher auch nachkommen.” Jetzt ergibt sich hieraus schon eine vielfältige Gesprächsgrundlage: A) das Gegenüber kennt den Raum XYZ nicht, dann kann man empfehlen, sich diesen bei irgendeiner ganz wichtigen Party demnächst anzugucken, man hätte ja sonst etwas verpasst. B.) der Raum ist bekannt, dann kann man sich gegenseitig versichern, dass dieser Ort ja so toll auch nicht wäre, ein wunderbarer Einstieg, sich über die allgemeine Misere der Partylandschaft, Undergroundszene, Off-Kunsträume etc. (was immer all das auch sein soll) zu beschweren. Je nachdem, kann man dann noch ergänzen, dass man eben gerade in Berlin gewesen und dort alles viel besser sei oder (je nach Gemüt) es sei auch nicht mehr das Wahre und die ganze dortige “off-Kultur” reiner Hype und inflationär.

Ein weiterer guter Einstiegssatz (da vielfältig polarisierend) ist: “Studierst du etwa auch an der HfG?”. Bei einem schlichten Nein, kann man sich zusammenraufen und in gemeinsames Dissen ( zur Auswahl: “Die HfG ist eine Sekte!“, “die werden ja immer jünger”, “eitles selbstverliebtes Volk”) verfallen. Bei einem Ja, lässt sich das nun weiter differenzieren, indem man sich erkundigt, ob dieser PG (Produktgestaltung) oder VK (Visuelle Kommunikation) studiere. Bei einem Vkler (da ja fast *Künstler*) kann man dann immer noch über die dumben Produktgestalter lästern. Mit einem Produktgestalter kann man sich immerhin noch über Offenbach auslassen. Obwohl Offenbach als Thema eigentlich immer zieht! Verfällt das Gespräch ins Stocken, immer mit Offenbach kommen, es werden zahllose Anekdoten folgen!

Scheinbar wird Gemeinschaft im nächtlichen Ausgehumfeld gerne durch gemeinsames “Schlechtmachen” erzielt. Man schätzt den, der das Gleiche hasst! Man kann beliebige Felder des Dissens finden (neben Partyräumen und Kunsträumen, die ja oft die gleichen sind), kann man einfach über die Macher reden: z.B. “ Kennst du den Ort YXZ, den macht der ABC, der ist ja schon ewig in Frankfurt aktiv. Äh, warum sind’s denn immer die gleichen Nasen, die Partys veranstalten?”. Ein fairer Handel, da ja die Partymacher auch auf die ihre Veranstaltungen besuchende Meute herabblicken und sich fragen, warum stets die gleichen Leute bei den sich stets ähnelnden Veranstaltungen auftauchen.

Ein neues Thema ist mir letzte Woche untergekommen, wo sich als Gesprächsauftakt nach einem gewissen “Egidius Braan” erkundigt wurde. Der nun auf etlichen Mailinglisten-Aktive bietet Stoff für mindestens 15 Minuten. Gerade Rohrpost-Abonnenten sind seit kurzem verstärkt in Genuss von Braans Worten gekommen und wundern sich nun “Kennt man den?” oder “Der ist ja furchtbar!”. Worauf man dann (sehr urban) milde lächelnd anfangen kann, aus dem Nähkästchen des Mailinglistenlebens zu berichten.

Eigentlich müsste man jetzt noch darauf eingehen, dass bei der Wahl der Gesprächspartner auf eine Durchmischung der Geschlechter zu achten sei. Sich den ganzen Abend nur beim eigenen Geschlecht aufhalten, wirkt (außer man ist schwul) verklemmt und zudem noch unspaßig. Nur bei der anderen Fraktion rumhängen, wirkt dann aber wiederum, als ob man es nötig hätte (was ja für viele durchaus der Antrieb des Besuchs sein mag). Dennoch ist es als Frau cooler den Abend mit Jungs zu verbringen (da tough), denn als Mann am Abend mehrere Damen abzuklappern (da abgeblitzt!).

Am Ende eines Abends ist man oft ermüdet von dem stetigen Wiederholen der gleichen Rituale, welches einen aber nicht hindert, es beim nächsten Mal genauso zu machen, in der Hoffnung, es werde dann alles besser, aufregender oder interessanter.

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