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Stefan Beck an Verena Kuni - 3.3.1995

30. 3. 1995

Liebe Verena,
Du scheinst ja wirklich schon in FFM heimisch zu werden, so oft ich Dich hier treffe. Leider hast Du gestern Anbend den absoluten Knueller verpasst: Eine Diskussion im Kunstverein ueber Sinn und Unsinn von Kunsthochschulen. Auf Einladung der Juergen Ponto Stiftung (wg. ihrer juengsten Ausstellung von StaedelschuelerInnnen). Es dikutierten unter der Leitung von Konstanze Cruewell (FAZ) Christa Naeher, Martin Kippenberger, Gerd Grasskamp(?) (Kunsthistoriker - der muesste Dir doch bekannt sein - so ein Vielschreiber), Herr Loeffelholz (Ponto-Stiftung und die vertretenen neun KuenstlerInnen.
Der Saal war gerammelt voll, Staedelschueler und Angehoerige vor allem, aber auch sonstiges Publikum. Nebenbei gesichtet: Weiermair, K.Koenig, D. Baer-Bogenschuetz (Kunstschreiberin bei der FR - Kritikerin taete ihr zuviel Ehre an.)
Nicht anwesend: unsere Politiker, die doch letztlich ueber Sinn und Unsinn von Kunsthochschulen entscheiden. Und durch die Kuerzung des Budgets der Staedelschule von 12 auf 6 Mio. dazubeitrugen, dass das Institut fuer neue Medien geschlossen werden musste. Des weiteren: die abgelehnten Kunststudenten, nach Angaben von K.Koenig jedes Jahr ca. 400 - davon noch spaeter.

Ich will hier nicht eine getreue Nacherzaehlung machen, sondern einige Stichpunkte festhalten. Weder von den Kunststudenten, noch von den beiden Professoren kam Substantielles. Da wurde viel von grossem Freiraum, Zeit zum Reifen und Ausprobieren, Chance und Moeglichkeit Neues zu sehen und zu erleben, Gleichgesinnte zu treffen und auszuhalten, Horizonterweiterung, Mut und Musse zu Unkonventionellem gesprochen - alles, was auch auf Pfadfinder zutreffen koennte.

Dagegen bestimmten die anwesenden Kunstvermittler (Graskamp, Koenig, Loeffelholz) deutlich die Diskussion.
Graskamp behauptete, dass der Forbestand von Akademien auf dem anhaltenden Markterfolg von Kunst beruhe, weswegen es auch keine Lyrikakademien gaebe, denn Lyrik haette keinen Markterfolg. Wendete dieses Beispiel aber sogleich dahingehend ab, dass seiner Meinung der groesste Einfluss englischer Akademien auf die Popmusik geltend zu machen gewesen sei - also doch kein Markterfolg von Kunst?
Koenig erwiderte darauf, dass es bei der Staedelschule nicht um die Vorbereitung auf den Markt, sondern auf ein erfuelltes Leben ankomme. Worauf er dann auch gleich zu seinem Lieblingsthema kam. FFM. War von ihm noch vor einiger Zeit zu hoeren gewesen, dass Staedelschule, Portikus und Institut fuer neue Medien (diese sinnreiche Troika) so etwas wie Durchlauferhitzer fuer das FFMer Kulturleben seien, so stellte er die Durchlauferhitzerfunktion diesmal in Frage und sprach lieber von ein Asynchronizitaet der Entwicklungen, der Langsamkeit der Vorgaenge; also, dass auch in Stagnationszeiten sich abseits des Etablierten Dinge entwickeln koennten, deren Wirkung sich erst in 10 Jahren zeige. Wirklich prophetisch. Und wer wollte einer solchen Annahme widersprechen? Man muss ja auch nicht viel tun, ausser abzuwarten. Verpflichtet einfach zu gar nichts.
Damit konnte sich dann auch der Vertreter der Dresdner Bank und Ponto-Stiftung, Loeffelholz, anfreunden. Fuer ihn kaeme es letztlich nicht auf das fertige Produkt an, sondern das Interessante sei der Prozess!!. Dem auch Graskamp zustimmte, dies sei ja das eigentlich Bewundernswerte an der Kunst, diese Subversion, die Faehigkeit allen zum Trotz zu ueberdauern und an ungeahnten Stellen wider aufzutauchen. Das waere wirklich faszinierend, berge soviel gesellschaftlchen Sprengstoff; und deshalb suche er bewusst die Naehe von Kuenstlern und ging jetzt an die Kunstakademie Muenchen, um da Kunstgeschichte zu lehren.
Koenig konnte hier nicken und nochmals darauf hinweisen, dass ja Kunst letztlich nichts wert sei, ja ihre Kraft stecke ja darin, dass sie im gesellschaftlich ueblichen Masse nicht honoriert werde. Was man ja auch daran sehe, dass von den vielen Hundert Abgelehnten niemand protestiere. Die saehen halt, dass man sich fuer Kunst nichts kaufen koenne.
Hier ist mir dann der Kragen geplatzt:
1) Wenn es so waere, dann muessten ja die Medizinanwaerter massenhaft protestieren, weil man sich fuers Arztsein immer noch was kaufen kann. Aber das tun sie nicht - nicht mehr.
2) dass man sich offensichtlich doch was fuer Kunst kaufen kann, zeigen eben die grossen Bewerberzahlen und obendrein die breit und fett dasitzenden Stipendiaten der Ponto-Stiftung. (Ob die es jetzt geschafft haben, steht auf einem anderen Blatt, aber es gibt immerhin Institutionen, die Kunst lohnend erscheinen lassen.....)
Es ist ausserdem vollkommen a-historisch zu sagen, es gaebe keinen Protest, ja, jetzt nicht mehr, aber seit den 70ern hat es doch gegen das Auswahlverfahren der Kunsthochschulen breiten Protest gegeben, siehe Beuys, und als ich 1985 nach Hamburg kam, da habe ich noch die letzten Auslaeufer dieser Bewegung mitbekommen (Freie Kunstschule Hamburg z.B.). Dass es keinen Protest mehr gibt, liegt einfach daran, dass es zur Zeit fuer solchen Protest nichts mehr zu kaufen gibt. Politisches Engagement wird nirgendwo mehr belohnt und verguetet (gerade im privaten Bereich). Wenn Graskamp Anfangs darauf hinwies, dass die englische Kunstszene immer wieder Richtung Pop ging, so trifft das in jedem Bereich auch auf die deutsche und andere zu, auch an der Staedelschule gibt es Bands mit Popambitionen, da wird gekocht, gefilmt und so weiter. Jedes Engagement ist zur Zeit denkbar, nur eins nicht: Art goes Politics. Politik ist DAS Tabuthema schlechthin. Da helfen nur alte Zeitungsausschnitte weiter, auf denen ich lesen konnte, dass 1975 Staedelschueler vor dem Kunstverein gegen die Verflechtung von Kunstverein und Banken demonstrierten. Polizei musste die Besucher vor den Demonstranten schuetzen und den Kunstverein abschuermen. Wer demonstriert heute? Niemand. Die Staedelschueler haben mittlerweile die Seite gewechselt, machen Shake-Hands mit den Herren von der Dresdner Bank, und freuen sich wie die Schneekoenige, dass es ihnen gelungen die drei Preise a 20.000 DM gerecht unter alle neun Teilnehmer aufzuteilen.
Traurig an der Veranstaltung allemal war, dass es doch nur das alte Intellektuellengejammer war, die wieder sich und anderen erklaeren mussten, warum sie eigentlich notwendig seien. Dagegen waren die, die in FFM und anderswo wirklich ueber Sinn und Unsinn von Kunstakademien entscheiden, naemlich die Politiker, nicht eingeladen worden und auch nicht erschienen. Niemand von denen, die da fuer die Akademien stritten, auch nicht der maechtige Koenig, hatten verhindern koennen, dass das Institut fuer neue Medien von staatlicher Foerderung ausgeschlossen wurde. Die Presse hat das ihres dazu beigetragen. Ueber Sinn wurde da niemals gesprochen, entweder nur ueber das, was der Herr Weibel ihnen zugesteckt hatte (Erfolge in aller Welt......) oder bloss Geld - so wies die Politiker hoeren wollen. Die reden nie ueber Sinn (wir haben in FFM einen gruenen Kämmerer, Herr Tom Koenigs)

Alles weitere schien blosse Formsache zu sein, weshalb sich auch niemand aus dem Publikum daran stoerte, wenn Herr Graskamp verkuendete, er ginge nach Muenchen. Ja, wie kann das denn sein? Muss er nicht eine Mappenpruefung machen? Nein, muss er nicht, er ist ja ein anerkannter Kunsthistoriker, der kann sich eben erlauben einfach nach Muenchen zu gehen, wo andere sich bewerben oder auf Einladung hoffen muessen. Niemand laedt deswegen auch einen von denen ein, die jaehrlich von den Akademien grosskotzig abgelehnt werden. Die koennen ja schliesslich auch woanders hinGEHEN.
Kein Aufschreif ging durch das Publikum als Herr Loeffelholz von der Ponto-Stiftung erklaerte: Es ginge ihnen ja nicht um fertige Produkte, sondern um den Prozess. Nun, welchen Prozess meint er denn da? Doch nicht etwa die fortschreitende Umwandlung der Dresdner Bank AG in Volkseigentum, die Abgabe von Aufsichtsratsposten, oder vielleicht die Ausbeutung der dritten Welt. Jeder nickt, Prozess, klingt doch irgendwie gut. Aber seine PR-Berater sollten aufhoeren bei Hegel abzuschreiben - Waltendes Weltgeistes, Wirklich = Vernuenftig etc. Hatten wir doch alles schon. Aber anscheinend wird solcher Verbalmuell wieder gesellschaftafehig. Wie auch Herr Graskamp die Akademien aufforderte, sich nicht nur auf den Erfolg, sondern auch auf das Scheitern vorzubereiten. Es ginge endlich darum auch eine Aesthetik des Scheiterns zu entwickeln.
Darf man das eigentlich noch nach Langemarck sagen? Gibt es wirklich noch Ohren fuer diese toll-dreisten Worte? Hatten wir nicht schon 1914 das endgueltige Scheitern dieses Salbaderns? Herzliche Gruesse
Dein Stefan

P.S.
Wer ist eigentlich dieser datendandy a. breker? Weswegen sasst Du mit ihm auf einem Kanapee? Und was hat das mit meinem Hermann Goering zu tun?

PDO

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