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Stefan Beck über Fahrradfahren und anderes - 15.5.1994

15. 5. 1994

Abstract
I feel obliged to give a short abstract for the english reader. The symposium FrischmacherInnen which is held at these days at Cologne focuses on the concept of Culture as kind of field defined by all expressions of people living together in a community or society. The following article concentrates on the topic of driving mainly by bike. I aim to give a few insights and ideas how my own impression of culture and art is influenced by the handicap that I have no car and consciously never intend to drive one but move mainly by bike, bus and train. I published a first essay on this some two weeks earlier and hope to continue in contributing to this topic.

Thema:
„Ueber FrischmacherInnen. Fuer die herrschende Gesellschaftsordnung findet Kultur in der Oper statt. FrischmacherInnen wendet sich im Superwahljahr ´94 gegen diesen totalitaeren Kulturbegriff. Kultur wird als Feld aller Aeusserungsformen des Zusammenlebens begriffen. FrischmacherInnen definieren Kultur, in dem sie diese praktizieren.“ (zit. nach FrischmacherInnen-Einladung)

Eine Bemerkung vorweg: Ich finde den Begriff „Superwahljahr“ ohne Anfuehrungszeichen problematisch, weil er ueber die Mitteilung, dass 1994 besonders viele Wahlen in einem Jahr stattfinden, als Superlativ suggeriert, dass diese Wahlen auch besonders wichtig waeren. Das ist nach m. M. nicht der Fall, sondern ist ein Bestandteil der Politik und der Politikerkaste ihre eigene Wichtigkeit im Voraus zu legitimieren. Schon die Tatsache, dass in ueber 40 Jahren BRD kein Regierungswechsel aufgrund von direktem Waehlerverhalten stattgefunden hat, laesst am Einfluss von Wahlen zweifeln.

Nun aber zu FrischmacherInnen:
Ich habe schon an anderer Stelle ueber meine Erfahrungen als Fahrradfahrer berichtet. Der Ansatz von FrischmacherInnen bestaetigt mich darin, dies als praktizierte Kultur zu begreifen. Schliesslich bin ich ja nicht nur in meinem Atelier Kuenstler, sondern auch auf dem Weg von meiner Wohnung ins Atelier, einen Weg, den ich mit dem Farrad zuruecklege. Dabei habe ich genug Gelegenheit alle Aeusserungsformen des Zusammenlebens, die angeblich die Kultur ausmachen sollen, kennenzulernen. Allerdings mueste ich diese doch naeher als „unkultur“ bezeichnen. Auf meinem Weg durch die Frankfurter Innenstadt Richting Hbf kann alles erleben, schneidiges Ueberholen, ueberraschendes Abbremsen vor mir, mit Vollgas auf mich drauffahren, um kurz vorher abzubremsen, und alle Arten von Schimpfausdruecken wie „Arschloch“, „Arschgesicht“ oder „Scheisser“. Mir ist allerdings lieber, sie schimpfen, als dass sie mit 1500 kg Blech taetlich werden.

Von 1980 bis 1990 hat sich die Zahl der Autos in Deutschland verdoppelt. Das ist zum grossen Teil die Folge der Generation von 1960-1970 (Baby-Boom), die eben besonders zahlreich ausfiel. Es stimmt mich traurig, dass ausgerechnet meine Generation so wenig Vernunft besitzt, um die deutschen mit mehr 10 Mio. Blechkarossen zu begluecken. (Mehr Kinder waeren doch netter gewesen; nur eine ganz pers. Vorstellung...) Ich denke, dass die immer groesser werdende Aggression im Strassenverkehr, von Autofahrern untereinander, und insbesondere Radfahrern gegenueber. („Fahr drauf“, ist ein nicht selten gehoerter Kommentar von Beifahrern, und auch von BeifahrerInnen, wobei ich nicht ohne Polemik bemerken kann, das die Agressionsbereitschaft mit der Zahl der PS, dem Tragen von Goldschmuck und dunklen Sonnenbrillen zuzunehmen scheint. Eine empirische Ueberpruefung dieser Hypothese steht aber noch aus.) daran liegt, dass es mit der vielgepriesenen Freiheit (und Abenteuer?) auf der Strasse nicht weit her ist. Und was ist schon Freiheit wert, wenn es nur eine gibt. Und ich denke, unbehindert die Strasse benutzen zu koennen und dahin zu fahren wo man/frau es will, solange Geld und Benzitank es zulassen, ist fuer die Mehrheit der Bevoelkerung die einzige Freiheit, die es zu verteidigen gibt. Freie Berufs- und freie Wohnungswahl ist nur noch eine Privileg einiger Ausgewaehlter. (und mit der sexuellen Freiheit steht es auch nicht so gut, abgesehen, dass nicht ganz klar ist worin die bestehen kann - aber das ist ein anderes Kapitel.) in diesem Sinne kann ein Fahrradfahrer schon ganz schoen stoerend wirken, selbst dann, wenn er sich nicht fahrradartig kreuz- und quer durch den Verkehr schlaengelt.

Ich bin uebrigens nicht sehr draufgaengerisch, ich fahre so defensiv wie moeglixh, ziehe ruhige Nebenstrassen, belebteren vor, selbst wenn sie einen Umweg darstellen sollten.
Zum Schluss dieser Betrachtungen, zu denen ich mich auch durch den Hinweis von Michael Krome verpflichtet fuehle, dieser Sparte etwas mehr „Profil“ zu verschaffen, moechte ich noch kurz eine Story anschliessen: In meinem letzten Beitrag hatte ich von den Beklemmungen geschrieben, die ein Fahrrad in der Geschaeftswelt ausloesen kann. Das ist aber meistens nur eine Ausnahme, im Allgemeinen dient mein Fahrrad auch als Lastesel, so habe ich juengst zwei Platten von der Groesse 150x80 im Baumarkt Griesheim gekauft und ins Atelier geschafft. Zwei solche Platten mit Zuegen sicher auf dem Gepaecktraeger von ueblicher Bauart zu placieren, ist nicht ganz leicht. Und die Fahrt auf dem Radweg noch weniger, Radwege sind ja meist nichts anderes als Rinnen zwischen parkenden Autos. Die Platten quer hinten drauf wurde das aber ganz unmoeglich, so dass ich auf die Fahrbahn ausweichen musste, worauf ich fast die Breite eines Autos einnahm. Gluecklicherweise ging das aber recht glatt, niemand hupte oder versuchte mich beim Ueberholen umzunieten. Bei dieser Gelegnheit fuehlte ich mich an die gewollte Provokation meines Wiener Bekannten Jan Lauth erinnert, der ein sog. „Widerstandsrad“ gebaut hatte, ein dreiraedrige Konstruktion, deren hintere Achse so breit wie die eines Autos war. Mit diesem Gefaehrt tourte er ueber den Wiener Ring, um den Autofahrern ihr Borniertheit klar zu machen. Wuetendes Gehupe all alle erdenklichen Flueche waren die Folge. Ein kleiner Werbespot fuer die alternative Zeitung Falter blieb davon uebrig.
Stefan Beck

PDO

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