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Stefan Beck an Heiko Wichmann, 25.2.1994

25. 2. 1994

[Aus dem Kontext der Debatte um den "Freundschaft" Lenin Text]

Lieber Heiko Wichmann,
das Ausloten von Widerspruechen, wie du sie beschreibst gehoert zu unserem musikalischen Konzept. Wir sind keineswegs so naiv zu glauben, dass revolutionaere Phrasen von vorgestern zusammen mit einem Avantgarde-Anspruch restlost auszugleichen sind. Der Text ist eine Falle, und die Etikettierung von „Avantgarde“ ebenfalls. Ich kann mir durchaus eine Avantgarde vorstellen, die darin besteht, vorhandene Avantgarden aufzunehmen und neu zu besetzen. Wer hat gesagt, dass Avantgarde voraussetzungslos zu sein habe. Im Gegenteil, geht man von ihrer Linearitaet und Unidirektionalitaet aus, hat sie unabdingbare Voraussetzungen. Dabei meine ich, dass es auch im Jahre 94 moeglich ist von „Avantgarde“ zu sprechen. Das Wort „Fuehrer“ ist ja nicht mehr zu gebrauchen, deshalb gibt es jetzt das englische „leader“. Die Werbung spricht von „opinion leader“, als Leute, die die Faehigkeit haben, ihre Meinung durchzusetzen. „Òavantgarde“ ist wer, die opinion leader stellt oder den Anspruch erhebt, dies zu tun. Niemand kann mir erklären, dass es im Kunst- und Musikbetrieb nicht solche Strukturen gibt. „Spex“ und „Texte zur Kunst“ etwa. Man will zwar nicht mehr das Wort „Avantgarde“ dafür gebrauchen, aber in ihrer Funktion entsprechen sie ihm genau.
Was das musikalische angeht, so haben wir eigentlich nichts mit diesem Kalte-Krieg-Kitsch von DAF zu tun. Wir sehen „Freundschaft“Ó nur dann vollstaendig beschrieben, wenn wir auch das Gegenteil, den Hass, die Zerstoerung und die Gewalt miteinbeziehen.
Woher diese Aversion gegen Techno? Mir kommt so vor, als ginge sie ueber ein blosse Abneigung in prinzipieller Hinsicht hinaus.
Ich denke, man muss Techno auch von der Form seiner Darbietung t her sehen. Vollkommene Anonymitaet der Songs, lueckenlose Klangwand - Schluss mit diesen Nummernopern in Radio und Disco, unbedingtes Sampling. Das sind fuer mich neue aufregende Elemente. Ich finde es schade, dass das nur von Kids zwischen 16-20 in einer Art Ekstase rezipiert wird. Jedenfalls ist es hier im „Omen“ in FFM so. Techno ist fuer mich ein ganzer Produktionszusammenhang fuer elektronische Musik. „Freundschaft“ versucht diese Prinzipien live (ganz im Gegensatz zu echtem Techno, der imme komponiert ist) zu bringen, und sie auch wieder zu zerstoeren. Was Sven Vaeth u. a. machen, interessiert mich gar nicht, das ist ja auch ein Prinzip von Techno. Wir haben einen Techno-Produzenten in der Band; der weiss gar nicht, was die anderen machen.
Du solltest vielleit genauer darlegen, wo Du die Schwierigkeiten mit Techno siehst.
Herzliche Gruesse
Stefan Beck

PDO

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