Thing Frankfurt Blog / Archiv

Text Medien.Kunst.Passagen. Heft 4/93

1. 4. 1994

Medien.Kunst.Passagen. Heft 4/93

Einleitung

Dieser Band der Medien. Kunst. Passagen. besteht aus Beiträgen Hamburger Autorinnen und Autoren, die auf sehr unterschiedliche Weise um das Themenfeld Medienkunst kreisen und so einen Einblick in die Vielfältigkeit und Lebendigkeit der Hamburger Medienautorenlandschaft geben sollen.
Hamburg versteht sich von jeher gern als Medienstadt. Als Standort für Verlage, Fernsehsender, Computerfirmen ist die Hansestadt in jedem Falle renommierter als für ihr Engagement in der Bildenden Kunst. Daran könnte sich langsam etwas ändern, denn mit den Deichtorhallen, den neuen Räumen des Kunstvereins und des Kunsthauses (Ausstellungsraum des Berufsverbandes Bildender Künstler) gibt es jetzt neben den Galerien auch insgesamt drei Institutionen, die Tür an Tür umfassend Gegenwartskunst zeigen. Der Erweiterungsbau der Hamburger Kunsthalle durch Oswald Mathias Ungers wird in einigen Jahren endlich auch Platz für eine regelmässige Präsentation der zeitgenössischen Sammlung schaffen.

Als Medien- und Kunststandort sollte Hamburg durch die "Mediale" gepuscht werden, ein "Festival für Medienkunst und Medienzukunft", das auf Initiative des ehemaligen Elektronik- Unternehmers und Betreibers der Medienkunstgalerie "Weisser Raum", Thomas Wegner, im Februar und März 1993 stattfand. Dieses sehr zwiespältig aufgenommene Grossereignis hat zu kritischer Stellungnahme geradezu herausgefordert und bildet auch für viele der in diesem Band versammelten Überlegungen eine Art Hintergrundfolie.
Kernort der Mediale waren die Deichtorhallen mit der Messe "Art and Fair" sowie der von Wulf Herzogenrath und Zdenek Felix zusammengestellten Ausstellung "Feuer-Wasser-Erde-Luft / Die vier Elemente", die internationale Vertreter der Medienkunst zeigte (Video - auch als Skulptur und Installation -, Holographie, Klangskulptur, computergesteuerte "interaktive" Installationen). Kunstausstellung und Messe, "Kunst" und "Kommerz" fanden getrennt in jeweils einer Halle statt, führten, wie Thomas Wegner es nannte, eine "Ehe in getrennten Schlafzimmern".1

Die saubere Ausgrenzung einer von der Artikulation schnöden Wirtschaftsinteressen befreiten Sphäre der Kunst kann aber heutzutage niemanden darüber hinwegtäuschen, dass ohne umfangreiches Sponsoring, in diesem Falle ohne Philips oder Lufthansa keine teure Medienkunstausstellung stattfinden könnten. Ohne "Kommerz" bliebe das Schlafzimmer der Kunst leer.

Die stark auf überregionale Präsenz und die Präsentation wirtschaftlicher Potentiale abgerichtete "Mediale" geriet insgesamt zu sauber und zu affirmativ gegenüber einem ungebrochenen technischen Innovationsdrang, um einen umfassenden Einblick in die Bereiche der Medienkunst geben zu können. Vor allem die erstaunlich vielfältige Hamburger Szene, die sich künstlerisch oder theoretisch mit digitalen Medien beschäftigt, war auf der Mediale nur am Rande präsent. Das während der Mediale gesendete "Piazza Virtuale"-Programm von Van Gogh TV wurde vom Mainstream der Besucher nur am Rande oder gar nicht wahrgenommen.

Immerhin waren auf der Messe Arbeiten des Hamburger Robotik- Künstlers Nicolas A. Baginsky zu sehen, dessen von der Hamburger Kunsthalle erworbenes Werk "Elizabeth Gardner" im Mittelpunkt der Reflexionen von Annelie Lütgens und Frank Barth steht. Die "Vier Elemente"-Ausstellung präsentierte als einen Beitrag die "Text Tones" des Hamburger Klangkünstlers Stephan von Huene, bei denen jedoch viele Besucher nicht so recht wussten, wie sie sich "interaktiv" verhalten sollten. Arne Mittig vermittelt Verständnisgrundlagen für Von Huenes "sprachliche Interaktivität".

Weitgehend unverstanden blieb beim Publikum und bei der Kritik auch der umfassende Mediale-Beitrag des Theaterregisseurs Robert Wilson, den Klaus Bartels einer medientheoretischen Analyse unterzieht, die auch wiederum herausstellt, wie unsinnig die von den Mediale-Machern perpetuierte Trennung von Kunst und Kommerz, von "E" und "U" ist.

Ist der herkömmliche Kunstbetrieb überhaupt der angemessene Rahmen für digitale Arbeiten? Kontroverse Standpunkte vertreten Benedikt Stampa, Organisator der PRISMA-Computerpreis-Ausstellung auf der Mediale-Messe, mit der Frage nach der Museumsreife der Computerkunst, und der Direktor des Hamburger Kunstvereins, Stephan Schmidt-Wulffen, der während der Mediale mit einer Ausstellung der mechanisch-spielerischen Arbeiten des New Yorker Objektkünstlers John Kessler einen bewusst kritischen Gegenakzent zur Glätte der meisten Mediale-Beiträge setzte. Schmidt-Wulffen steht dem bisherigen Stand der Medienkunst sowie ihrer Kritik bzw. Theorie mit grosser Skepsis gegenüber . Diese Skepsis teilt Hans-Joachim Lenger, der in seinem - nicht realisierten - Konzept für die Interface II-Tagung, die während der Mediale stattfand, Überlegungen zu einer Transformation herkömmlicher Kunst- und Technikbegriffe, zu einer Überführung des "sensus communis" in einen "sensus communicationis" macht.

Gesellschaftspolitische Überlegungen leiten auch den Beitrag von Gunnar F. Gerlach, der noch einmal auf Positionen der "Kritischen Theorie" rekurriert, um einen an konkretes Handeln im sozialen Raum gebundenen Begriff des Mediums auch für die Kunst einzufordern. Medienbewusste Aktivität im gesellschaftlichen Umfeld ist auch die Leitlinie von "frauen.und.technik" und ihren Nachfolgegruppen, deren Genese Julia Böhmler nachzeichnet. Die Frage nach einem alternativen, weiblichen Technikdiskurs spielt auch in Lütgens/Barths Beitrag eine Rolle, der ebenso eine "andere" Schreibweise intendiert wie die aus umfassenden Mailbox-Erfahrungen inspirierten Überlegungen Hans- Christian Danys, der von Hamburg aus zur Biennale, zu Ernst Jünger und Jurassic Park Stellung nimmt: im Netzwerk wird die Frage des Standortes zweitrangig, die Themen des Sommers 1993 sind international.

Ludwig Seyfarth

Zu den Autoren:

Prof. Dr. Klaus Bartels lehrt Literaturwissenschaft an der Universität Hamburg mit dem Schwerpunkt Medien. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Literatur- und Mediengeschichte

Frank Barth, wissenschaftlicher Angestellter an der Hamburger Kunsthalle. Umfassende Ausstellungstätigkeit

Julia Böhmler, Studium der Kunstgeschichte an der Universität Hamburg

Hans-Christian Dany, Künstler und freier Autor

Gunnar F. Gerlach, Kunstwissenschaftler und Ausstellungsmacher

Hans-Joachim Lenger, Professor für Kunsttheorie an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg, Chefredakteur der Zeitschrift "Spuren"

Dr. Annelie Lütgens, wissenschaftliche Volontären an der Hamburger Kunsthalle

Arne Mittig, Studium der Kunstgeschichte an der Universität Hamburg

Dr. Stephan Schmidt-Wulffen, Direktor des Hamburger Kunstvereins

Benedikt Stampa, Musikwissenschaftler, geschäftsführender Sekretär der Hamburgischen Kulturstiftung

Anmerkung
1 TAZ Hamburg, 23.1.1993.

PDO

[07/2015] Wegen Serverwechsel können wir die Seite Thing Frankfurt Blog in der bisherigen Form leider nicht mehr weiterführen.

Zur Zeit sind nur ausgewählte Artikel verfügbar.

Wir wollen zu Wordpress wechseln. Wer kennt sich aus mit Datenmigration, MySQL, eXtended RSS und könnte uns helfen? Freundliche Hinweise über Kontakt

Alles andere, Impressum etc auf Thing Frankfurt

Unterstütze uns mit:

© Thing Frankfurt Blog, seit 2002.